Die Europäische Union (EU) produziert weiterhin Pestizide, die auf ihrem eigenen Gebiet aufgrund ihrer schädlichen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt verboten sind, und exportiert sie in Länder mit schwächeren Vorschriften. Diese Praxis stellt nicht nur eine ernsthafte Bedrohung für die menschliche Gesundheit und die Natur dar, sondern ist auch ethisch höchst widersprüchlich.
Wachsende Exporte und das Schweigen der Kommission
Laut Recherchen von Unearthed und Public Eye hat der Handel mit verbotenen Pestiziden in den letzten Jahren stark zugenommen – trotz des Versprechens der EU-Kommission, diese Exporte zu stoppen.
Im Jahr 2023 kündigten EU-Unternehmen den Export von 75 verschiedenen Chemikalien an, deren Verwendung innerhalb der EU verboten ist. Das ist fast doppelt so viel wie im Jahr 2018 gemeldet wurde.
Der Hauptgrund für diesen Anstieg liegt darin, dass in den letzten sieben Jahren viele Pestizide aufgrund ihrer nachgewiesenen Schädlichkeit für Mensch und Umwelt in der EU verboten wurden – es jedoch keine Regelung gibt, die den Verkauf dieser Chemikalien in Länder mit schwächeren Gesetzen verhindert.
Obwohl die EU-Kommission vor fünf Jahren versprach, den Export dieser verbotenen Stoffe zu stoppen, wurde bislang kein konkreter gesetzlicher Schritt unternommen. In dieser Zeit nahm beispielsweise der Export des Pestizids Mancozeb, das Ende 2020 wegen seiner reproduktionstoxischen Wirkung verboten wurde, weiter zu.
Im Jahr 2023 meldeten EU-Unternehmen Exporte von über 8.500 Tonnen Mancozeb, hauptsächlich in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Das südafrikanische Projekt Women on Farms bezeichnet diese Praxis als „Doppelstandard und koloniale Haltung“. Ebenso wird seit Jahren für ein vollständiges Verbot von Cyanamid gekämpft – einer Substanz, die seit fast zwanzig Jahren in der EU verboten, aber weiterhin aus Deutschland nach Südafrika exportiert wird.
Eine neue Form der Ausbeutung: Chemische Kolonisierung
Während der Export verbotener Pestizide im Jahr 2018 etwa 81.600 Tonnen betrug, stieg er 2023 um 50 % auf 122.000 Tonnen. Die Zahl der exportierten verbotenen Chemikalien stieg im gleichen Zeitraum um 83 % – von 41 auf 75.
Mehr als die Hälfte dieser Exporte ging in Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Zu den wichtigsten Empfängerländern zählen Brasilien, die Ukraine, Marokko, Malaysia und China.
Frankreich und Belgien haben zwar nationale Exportverbote erlassen, doch mangels einer EU-weiten Regelung wächst der Handel weiter. Zwar werden diese Exporte im Rahmen des Rotterdamer Übereinkommens gemeldet, doch spiegeln die angegebenen Mengen nicht immer die tatsächlichen Exporte wider.
Der größte Exporteur im Jahr 2023 war das deutsche Unternehmen BASF mit 33.600 Tonnen.
Die Unternehmen argumentieren, dass die Chemikalien in den Empfängerländern legal und sicher seien; internationale Experten und NGOs hingegen betrachten diese Praxis als Doppelstandard und als Verletzung der Menschenrechte.
UN-Sonderberichterstatter bezeichnen den Export von Pestiziden, die europäischen Landwirten verboten sind, in Länder mit schwächeren Vorschriften offen als eine Form der Ausbeutung.
Die Situation in der Türkei
Laut dem Bericht werden viele in der EU verbotene gefährliche Pestizide auch in die Türkei exportiert.
Thiamethoxam, das 2018 wegen seiner tödlichen Wirkung auf Bienen verboten wurde, wird weiterhin als Beizmittel in die Türkei geliefert. Auch Clothianidin gehört zu den exportierten Stoffen.
Das krebserregende Cyproconazole, das in Europa verboten ist, wird in Fässern in die Türkei transportiert. Weitere Stoffe wie Phosmet, Imidacloprid, Cyfluthrin und Picoxystrobin – die mit neurologischen Schäden, Fortpflanzungsproblemen oder DNA-Schäden in Verbindung gebracht werden – gelangen ebenfalls in die Türkei.
Zwar wird behauptet, dass einige dieser Produkte nur zum „Wiederexport“ bestimmt seien, doch gibt es keine wirksamen Kontrollmechanismen, um festzustellen, ob sie tatsächlich im Land verbleiben oder nicht.
Wer produziert diese Gifte?
Die Hauptunternehmen, die diese Pestizide herstellen und aus Europa in Entwicklungs- und Schwellenländer exportieren, sind:
Bayer, Syngenta, BASF, Gowan, Corteva, FMC Agro Italia, Limagrain, MAS Seeds und Alzchem.
Diese Agrarchemie-Giganten argumentieren offiziell, dass das Problem nicht in den Verboten, sondern im mangelnden Vollzug liege. Doch wissenschaftliche Studien zeigen eindeutig, dass diese Chemikalien erhebliche Gesundheitsrisiken bergen – und die europäischen Verbote wurden genau aus diesen Gründen verhängt.
Profit oder Gesundheit?
Die Europäische Union verbietet bestimmte Pestizide, um ihre eigenen Landwirte zu schützen, exportiert sie jedoch weiterhin in Länder mit schwächeren Regelungen. Das verursacht nicht nur schwere ökologische und gesundheitliche Risiken, sondern stellt auch ein ethisches Dilemma dar.
In Ländern wie der Türkei verschärfen fehlende Kontrollen die Gefahren dieser Chemikalien noch weiter. Der Druck der internationalen Öffentlichkeit und der Kampf lokaler Gemeinschaften werden zunehmend entscheidend, um Europa an seine eigenen Versprechen zu erinnern.
Die wahre Lösung liegt in der Entwicklung einer globalen Pestizidpolitik, die nicht den Profit, sondern das menschliche Leben und die Natur in den Mittelpunkt stellt.
Quellen
- Greenpeace Türkei – Doppelte Standards: Europa verkauft verbotene Pestizide an die Türkei
- Greenpeace Türkei – Pestizide und Kinder – Bericht
- Chemistry World – Daten zur Zunahme der EU-Exporte verbotener Pestizide
- Public Eye & Unearthed – Exportdaten zu Neonikotinoid-Pestiziden