Nach Angaben des türkischen Ministeriums für Landwirtschaft und Forstwirtschaft liegt der durchschnittliche Pestizidverbrauch in der Türkei bei etwa 2,3 Kilogramm pro Hektar. Betrachtet man diesen Wert über die gesamte landwirtschaftlich genutzte Fläche hinweg, scheint er im weltweiten Vergleich „normal“. Doch dieser Durchschnitt spiegelt nur ein allgemeines Bild wider – die tatsächliche Situation unterscheidet sich je nach Region und Produktionsintensität erheblich.
Die Regionen mit der höchsten landwirtschaftlichen Aktivität: Die Top 10 Provinzen
Antalya, Mersin, Adana, Izmir, Aydın, Manisa, Bursa, Hatay, Muğla und Konya zählen zu den Provinzen mit der intensivsten landwirtschaftlichen Produktion in der Türkei – und zugleich zu jenen mit dem höchsten Pestizideinsatz. In diesen zehn Provinzen beträgt der durchschnittliche Verbrauch rund 4,5 kg/ha, also fast das Doppelte des Landesdurchschnitts.
Konya bildet dabei eine Ausnahme: Obwohl es die größte Ackerfläche des Landes besitzt, wird dort überwiegend trockene Getreideproduktion betrieben, die nur wenig Pestizide benötigt. Nimmt man Konya aus der Liste heraus, steigt der Durchschnitt in den verbleibenden neun Provinzen auf bis zu 9 kg/ha.
Vor allem in den Gewächshauszentren Antalya und Mersin, wo frisches Obst und Gemüse für den Export produziert wird, führen die Anforderungen an standardisierte und optisch einwandfreie Produkte zu häufigen und regelmäßigen Spritzungen.
Vergleich mit der Welt und Europa
Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) liegt der weltweite Durchschnitt des Pestizidverbrauchs bei etwa 2,7 kg/ha. In der Europäischen Union liegt der Mittelwert zwischen 3 und 4 kg/ha, wobei Länder mit intensiver Gewächshausproduktion – etwa die Niederlande oder Italien – Werte von 8 bis 12 kg/ha erreichen können.
Damit liegt die Türkei im Allgemeinen nahe an den globalen und europäischen Durchschnittswerten. Doch in den neun führenden Provinzen (ohne Konya) erreichen die 9 kg/ha ein Niveau, das mit den am stärksten pestizidintensiven Regionen Europas vergleichbar ist. Besonders die landwirtschaftliche Dichte im Gebiet Antalya–Mersin kann mit den Gewächshauszentren der Niederlande verglichen werden.
EU-Grenzwerte im Export: MRL (Maximum Residue Level)
Die intensive Nutzung von Pestiziden hat eine besonders kritische Bedeutung für den Export. Die Europäische Union legt gemäß Verordnung (EG) Nr. 396/2005 sogenannte Maximum Residue Levels (MRL) – also die maximal zulässigen Rückstandswerte – für jedes Pestizid-Produkt-Paar fest. Diese Grenzwerte werden in mg/kg angegeben und können extrem niedrig sein, häufig bei nur 0,01 mg/kg.
Für in der EU nicht zugelassene Pestizide gilt automatisch dieser niedrigste Grenzwert. Wird bei der Kontrolle an der Grenze durch das RASFF-System (Rapid Alert System for Food and Feed) ein Überschreiten festgestellt, wird die Ware zurückgewiesen, zurückgesandt oder vernichtet.
Einige in der Türkei noch zugelassene Wirkstoffe sind in der EU verboten oder stark eingeschränkt. Beispiele:
- Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-Methyl, in der EU wegen ihrer Auswirkungen auf das Nervensystem verboten.
- Imidacloprid und Thiamethoxam, aufgrund ihrer Gefährdung von Bienenpopulationen in der EU nicht mehr zugelassen.
- Prochloraz, ein Fungizid, das in vielen EU-Produkten nicht genehmigt ist, wurde in türkischen Exporten mehrfach durch RASFF-Meldungen beanstandet.
Der Nachweis solcher Rückstände stellt für exportierende Unternehmen ein ernstes Risiko dar – sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch in Bezug auf das Vertrauen internationaler Märkte.
Ursachen des hohen Verbrauchs
Die regionalen Unterschiede im Pestizideinsatz in der Türkei lassen sich auf mehrere Hauptfaktoren zurückführen:
- Art der Produktion: Getreideanbau (z. B. in Konya) benötigt deutlich weniger Pestizide als Gewächshauskulturen oder der Anbau von Obst und Gemüse mit hohem Marktwert.
- Klima: Das warme und feuchte Mittelmeerklima begünstigt die Ausbreitung von Schädlingen und Krankheiten.
- Markterwartungen: Besonders im Export verlangen die Abnehmer makellose Produkte, was zu häufigeren chemischen Behandlungen führt.
Fazit: Strategisches Management für Export und Lebensmittelsicherheit
Der Pestizideinsatz in der Türkei liegt insgesamt im globalen Durchschnitt. Doch in den landwirtschaftlich intensiven Regionen des Mittelmeers und der Ägäis erreicht er mit 9 kg/ha Werte, die denen der am stärksten pestizidbelasteten Gebiete Europas entsprechen.
Dies erfordert ein gezieltes Management – nicht nur, um die strengen MRL-Grenzen der EU im Export einzuhalten, sondern auch, um Gesundheit und Ökosysteme im Inland zu schützen.
Integriertes Schädlingsmanagement (Integrated Pest Management – IPM), biologische Bekämpfungsmethoden und regelmäßige Rückstandskontrollen sind daher keine Option mehr, sondern eine Notwendigkeit, um die Wettbewerbsfähigkeit der Türkei zu sichern und die Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten.
Quellenverzeichnis
- Zeitschrift für Agraringenieurwesen – Verteilung des Pestizideinsatzes nach Provinzen (2020)
- Gıda Hattı – Die zehn Provinzen mit dem höchsten Pestizidverbrauch in der Türkei
- FAO – Global pesticide use data
- Europäische Kommission – Maximum Residue Levels (EG Nr. 396/2005)
- RASFF – Rapid Alert System for Food and Feed
- Heinrich Böll Stiftung Türkei – Pestizidatlas und verbotene Wirkstoffe